Kreuzweise – der Crossover Podcast

Warum sollte ich die ADHS-Diagnostik bei einem darauf spezialisierten Facharzt durchführen lassen?

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Weil das Thema in Facebook-Gruppen immer und immer wieder hochkommt, habe, mal eine Zusammenfassung dazu geschrieben:

Ich kann das nicht oft genug betonen: WENN Ihr eine ADS/ADHS-Diagnostik machen lassen wollt, geht bitte zu einem Facharzt (Psychiater oder Neurologen), der auf ADHS spezialisiert ist!!!

Ich habe das jetzt schon soooo viele Male mitbekommen, dass Leute damit auf die Nase gefallen sind, dass ich das hier nochmal näher erläutern möchte

HIER DIE GRÜNDE:

  1. Fachkompetenz: Um mal den Unterschied zwischen Psychotherapeuten und Psychiater zu veranschaulichen: Es verhält sich hier ähnlich, wie mit einem Fahrlehrer und einem Automechaniker. Der Fahrlehrer (Therapeut) hilft dabei, wie ich mit meinem Auto richtig umgehe. Erfahrungsgemäß hat er auch technische Grundkenntnisse und kann mir sicherlich auch ein paar Tipps für den Ölwechsel geben. Geht es um eine Fehlerdiagnose urauszufinden, warum der zweite Gang nicht funktioniert, bin ich aber bei einem Automechaniker (Psychiater) grundsätzlich besser aufgehoben. Dieser kann mir wiederum nicht dabei helfen, besser Autofahren zu lernen. Jeder kann theoretisch eine Diagnose stellen – ein Hausarzt, ein Heilpraktiker, aber auch ein Maschinenbau-Ingenieur. Während ein Psychologe sich um das menschliche Verhalten kümmert (richtig Autofahren), ist ein Psychiater ein reiner Facharzt und kümmert sich um physische Aspekte (den Motor). ADHS ist eben auch KEINE psychische Störung, sondern eine neurologische und hat physische Ursachen beim Gehirnstoffwechsel.
  2. Möglichkeiten: Eine gute Diagnostik beinhaltet nicht nur Fragebögen, sondern (im Idealfall) auch physische Untersuchungen, die nur ein Arzt durchführen kann (und darf). Das kann ein Psychologe nicht abdecken, und selbst ein Hausarzt hat hier in der Regel nicht die technischen Möglichkeiten hierfür (z.B. MRT).
  3. Medikamente für ADHS sind in der Regel als Betäubungsmittel (BTM) deklariert und können auch nur von einem Psychiater verschrieben werden. Die Praxis hat leider gezeigt, dass sich diese nicht auf die Diagnose eines Therapeuten verlassen, sondern hier selbst eine eigene Diagnostik machen wollen (man kriegt auch beim Führerschein keine Fahrstunden erlassen, weil der Automechaniker der Meinung ist, dass man das Autofahren gut beherrscht). Im Zweifelsfall muss man also die Diagnostik also eh noch ein zweites Mal machen lassen. Sich ein zweites Mal emotional ausziehen, ein zweites Mal Warten und ein zweites Mal die Unsicherheit ertragen.
  4. Richtige Diagnose: ADHS ist eine sogenannte Ausschluss-Diagnose. Das heißt, dass es zur Diagnostik dazu gehört, sicherzustellen, dass man nicht von anderen Störungen oder Krankheiten betroffen ist, wie z.B. FAS, Schlafapnoe oder Depressionen. Letztere können aber nicht nur ähnliche Symptome aufweisen, sondern wiederum auch von ADHS ausgelöst werden – es ist also komplex.
  5. Diagnostische Möglichkeiten: Eine Medikation kann auch Teil der Diagnose sein. Die meisten Medikamente, wie z.B. Ritalin oder Medikinet (Methylphenidat) wirken stark aufputschend. Betroffene von ADHS wirken bei Einnahme aber eher ruhiger, weil nicht mehr so viele Impulse auf ihr Gehirn einwirken. Eine Medikation kann also auch helfen festzustellen, ob man überhaupt betroffen ist. Auch diese Möglichkeit hat ein Therapeut nicht, da er generell keine Medikamente verschreiben kann und darf.
  6. Der für mich wichtigste Grund: Es gibt kaum eine Störung, bei der so viel Unwissen und so viele Vorurteile im Umlauf sind, wie bei ADHS! Leider gilt das auch für Fachpersonal im medizinischen Umfeld. Viele Hausärzte nehmen die Störung nicht ernst, halten ADHS für eine Modekrankheit oder für überbewertet. Leider sind auch viele Psychotherapeuten und Psychiater ohne Spezialisierung nicht frei von derartigen Vorurteilen! Ich habe es immer wieder mitbekommen, dass Menschen einen langen Leidensweg hinter sich haben, weil sie bei einem Therapeuten gelandet sind, dem in Bezug auf ADHS wichtige Kenntnisse gefehlt haben, der sich auch nicht eingelesen-, sondern nur ein paar Fragebögen heruntergeladen hat. Die Diagnose fiel dann negativ aus, obwohl die Person eigentlich betroffen war. Insbesondere bei Menschen ohne hyperaktiven Anteil (häufig Frauen) wird ADHS sehr oft übersehen, weil sich die Symptome doch unterschiedlich ausprägen (und vor allem anders als das Klischee vom Zappelphilipp).
  7. Verschreibung: Leider gibt es auch eine Tendenz dazu, dass Personen die Medikamente nicht verschreiben DÜRFEN, diese auch eher für unnötig halten und mit alternativen Tipps kommen, die den wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen: Treiben Sie mehr Sport Suchen Sie sich eine Selbsthilfegruppe! Stellen Sie Ihre Ernährung um!
  8. Anträge: Will man weitere Hilfen beantragen (Haushaltshilfe, Zuschüsse, GdB, Pflegegrad etc.) gibt es mit einer Diagnostik von einem Facharzt deutlich weniger Probleme. Eine Diagnose von einem Heilpraktiker ist hier gänzlich sinnlos.
  9. Termine: Hilfe im Bereich mentaler Erkrankungen zu erhalten ist generell ein großer Schmerzpunkt für Betroffene. Einen Termin zur Diagnostik zu bekommen, ist allerdings immer noch etwas leichter als einen Therapieplatz bei einem Psychotherapeuten. Die Wartezeiten bei letzterem liegen hier im Schnitt(!) bei 5 Monaten, oftmals schafft man es aber noch nicht mal auf eine Warteliste. Eine einmalige Diagnostik bei einem Psychiater bietet demgegenüber auch den Vorteil, dass man hier gegebenenfalls eine weitere Fahrtstrecke in Kauf nehmen kann.
  10. Kosten: Die Kosten werden von der Krankenkasse übernommen. Auch ausgebildete Therapeuten haben aufgrund des Missstands in Deutschland leider oft keine Kassenzulassung und müssen diese Leistung berechnen.
  11. Hilfe für andere: Will man dritte Personen unterstützen, die sich vielleicht schwertun für „psychischen Kram“ Hilfe anzunehmen, hat man oft nur einen Versuch. Kommt bei der Diagnose ein negatives Ergebnis heraus, oder will der Arzt hier keine Medikamente verschreiben, wird es oft schwer, die Person davon zu überzeugen, sich eine Zweitmeinung einzuholen.

Und ja, ich weiß: Das Auto-Beispiel ist stark überzeichnet. Und ja, es gibt viele, sehr kompetente Therapeuten, die ihr Handwerk verstehen und eine gute (sogar oft bessere) Diagnostik machen!

Ich will hier niemandem die Kompetenz absprechen. Aber die Erfahrung zeigt einfach, dass man mit einem Psychiater oder Neurologen, der auf ADHS spezialisiert ist, eher auf der sicheren Seite ist und sich so manche schmerzhafte Erfahrung erspart – selbst wenn man hier eine längere Wartezeit in Kauf nehmen muss.

Will man eine erste Einschätzung für sich selbst haben, reicht auch ein Online-Fragebogen im Internet, ansonsten aber besser zum Facharzt.

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